ACHTSAM MORDEN TEIL 2
„Das Kind in mir will achtsam morden“
Rasante Krimikomödie nach Karsten Dusse zur Eröffnung der Theatersaison 2024/25
Von Annika Heuser
„Kindlich ist das altersgemäße Verhalten eines Kindes. Kindisch ist das nicht altersgemäße Verhalten eines Erwachsenen.“ Unter diesem Motto gastierte das Junge Theater Göttingen am vergangenen Dienstag auf Einladung des Kulturvereins erneut in der Stadthalle Holzminden. Mit einem bewusst kleinen Ensemble von nur drei Personen, die jedoch insgesamt nicht weniger als 18 verschiedene Rollen verkörperten, präsentierte Regisseurin Isabelle Küster den zweiten Teil der „Achtsam morgen“-Reihe von Karsten Dusse in einer Bühnenversion von Axel Schneider dem erwartungsvollen Publikum, dessen Hoffnungen auf einen unterhaltsamen Abend nicht enttäuscht wurden.
Der Zuschauer wird unmittelbar in das Geschehen hineingeworfen, welches nahtlos an die Ereignisse des ersten Teils anschließt. Sechs Monate, nachdem Björn Diemel (Jens Tramsen) mithilfe seines Lifecoaches Joschka Breitner sein Leben nach den Prinzipien der Achtsamkeit umgestaltet hat und vom dauergestressten Anwalt zum widerwilligen Anführer zweier Halbweltorganisationen aufgestiegen ist, könnte er durchaus zufrieden mit seiner Lage sein: Der Job erweist sich als lohnend, die Beziehung zu seiner (Ex)frau hat sich stabilisiert und Tochter Emily genießt die Zeit im hauseigenen Kindergarten, der unter der Leitung von Diemels Freund Sascha aufblüht. Lediglich der im Keller gefangen gesetzte Mafiaboss Boris stellt noch eine Bedrohung dar.
Doch woher kommt die permanente Unruhe und Gereiztheit der Hauptfigur, die gleich zu Beginn einen aufmüpfigen Hüttenkellner in den Alpen das Leben kostet?
Auf den energischen Druck seiner Frau hin findet sich Diemel erneut in der Praxis Breitners wieder, der auch schnell eine Diagnose parat hat. Björns inneres Kind und alle damit in Zusammenhang stehenden verdrängten Gefühle sind offenbar die Ursache für den jüngst begangenen achtsamen Mord. Auf den Vorschlag seines Therapeuten hin beginnt der Ich-Erzähler Diemel eine „Partnerschaftswoche“ mit seinem neu entdeckten und bisher sträflich vernachlässigtem inneren Kind, in der die beiden eine Beziehung und gegenseitiges Vertrauen aufbauen sollen.
Leider möchte das Kind im Gegensatz zum Erwachsenen keineswegs aufs Morden verzichten, um die akuten Probleme, wie beispielsweise eine Pseudo-Befreiung von Boris und daran anschließender Erpressung oder das Auftauchen der berüchtigten Holgerson-Bande, zu lösen.
So kommt es, wie es kommen muss: Eine skurrile Szene jagt die nächste und der stets präsente eigenwillige Humor, der bereits den ersten Teil ausgezeichnet hat, strapazierte auch dieses Mal die Lachmuskeln der Zuschauer, die in der sehr gut gefüllten Stadthalle Zeugen des herausragenden Könnens der Schauspieler aus Göttingen wurden. Thyra Uhde und Fynn Knorr schlüpften unter großem Geschick mit wenigen Requisiten in sämtliche Nebenrollen und mussten sich dazu mehrfach mit irrwitziger Geschwindigkeit innerhalb des zentral auf der Bühne platzierten übermannshohen drehbaren Würfel umziehen. Ob als Klettergerüst für das immer dominanter werdende innere Kind oder als Hintergrund für die Beschreibung eher blutiger Vorfälle erfüllt der von Jörg Brombacher in Szene gesetzte Kubus eine zentrale Funktion.
Wie im Erfolgskonzept des Vorgängers werden abermals Elemente eines Kriminalromans mit Weisheiten der Ratgeberliteratur verbunden und die eindimensionale Perspektive des Ich-Erzählers durch die situationsabhängigen Ratschläge von Achtsamkeitstherapeut Breitner („Ein Problem sollte man lieber umarmen statt es zu bekämpfen.“) aufgebrochen. Die schlussendlich gefundene Lösung lässt einige Fragen offen und macht Lust auf den dritten Band der Reihe: „Achtsam Morden am Rande der Welt“.
Ein rundum gelungener Abend endete für die Verantwortlichen des Kulturvereins in freundschaftlich zwangloser Talkrunde mit den Schauspielern, Intendant Nico Dietrich sowie einigen anderen Gästen. Die in all den Jahren stetig gewachsene hervorragende Zusammenarbeit gibt Hoffnung, in Zukunft noch häufig das Junge Theater Göttingen in Holzminden begrüßen zu dürfen.