DIE THERAPIE

Ein nervenaufreibendes Erlebnis

Berliner Kriminal Theater gastierte auf Einladung des Kulturvereins in der Stadthalle

Von Annika Heuser

Esther Esche als Anna Spiegel und Thomas Linke als Dr. Viktor Larenz.

„Als die halbe Stunde verstrichen war, wusste er, dass er seine Tochter nie wieder sehen würde.“

Vier Jahre sind vergangen, seit Viktor Larenz Josephine („Josy“) zur Praxis ihres Allergologen begleitet hat, aus der das Mädchen spurlos verschwand. Thomas Linke verkörperte den ehemaligen Star-Psychiater beim Gastspiel des Berliner Kriminal Theaters am letzten Mittwochabend in der Stadthalle Holzminden. Regisseur Wolfgang Rumpf inszeniert Sebastian Fitzeks Debütroman „Die Therapie“ aus dem Jahr 2006 als Kammerspiel mit drei Personen in einem schlicht gehaltenen Bühnenbild, bestehend aus hellen, herunterhängenden Stoffbahnen, einer Sitzecke und einem Laptop – dem (wie sich herausstellt) einzigen Kommunikationsmittel zur Außenwelt.

Von der vergeblichen Suche nach seiner Tochter tief traumatisiert zieht sich der anerkannte Arzt Dr. Larenz in ein Ferienhaus auf der (fiktiven) nordfriesischen Insel Parkum zurück, um dort die Interviewfragen einer Illustrierten zu beantworten. Was als Katharsis für den eigenen Geist beginnt, entwickelt sich mit dem Auftauchen der Kinderbuchautorin Anna Spiegel (Esther Esche) rasch zu einer Konfrontation mit der Vergangenheit. Die nicht nur an Schizophrenie, sondern seit einigen Jahren auch an einer Schreibblockade leidende Frau bittet den Psychiater um ein Therapiegespräch, wohl wissend, dass dieser nach der Aufgabe seiner Praxis keine Patienten mehr annimmt. Widerstrebend gewährt Larenz der hartnäckigen Anna fünf Minuten seiner Zeit und wird hellhörig, als sie von ihren Symptomen berichtet. Figuren ihrer Erzählungen begegnen Frau Spiegel angeblich in der Realität, wobei die Geschichte von „Charlotte“ erstaunliche Parallelen zum Verschwinden von Josy aufweist. Als aufgrund eines Sturms jegliche Fährtätigkeit eingestellt werden muss, verbringen die beiden notgedrungen weitere Sitzungen miteinander. Selbst Parkums Bürgermeister Halberstaedt (Silvio Hildebrandt) warnt vor der undurchsichtigen Frau und Larenz muss sich zunehmend fragen: Wie verrückt ist Anna wirklich? Und was hat sie als nächstes vor?

Szene aus „Die Therapie“ (v. l.): Esther Esche, Silvio Hildebrandt, Thomas Linke und Marlene Müller.

Die Handlung der 2016 in Berlin uraufgeführten Inszenierung nimmt von Anfang an schnell Fahrt auf, wobei der rote Faden die Suche nach der Beantwortung einer Frage bildet: Wo ist Josephine?

Treue Leser von Fitzeks mittlerweile 22 erschienenen Büchern, die durchgängig zu Bestsellern wurden, wissen: Gerade, wenn man glaubt, die Lösung zu kennen, präsentiert der Autor eine neue Wendung, mancher Gedankengang führt in die Irre und kurz vor dem Ende werden erneut alle Erkenntnisse in einem finalen Twist auf den Kopf gestellt. So auch in der „Therapie“, die den Zuschauer in beständiger Spannung zwischen Realität und Fiktion, Aufklärungswillen und Verdrängung hält, treffend zusammengefasst in Viktor Larenz` Aussage: „Zwischen Ahnen und Wissen liegen Leben und Tod.“
Das Berliner Ensemble zeigte eine hohe schauspielerische Leistung und konnte die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten.

Das Publikum in der fast voll gefüllten Stadthalle belohnte die Künstler am Ende mit anhaltendem und herzlichem Beifall, obwohl der Hörgenuss an einigen Plätzen durch technische Probleme getrübt wurde. Letzteres betraf den eingesetzten Laptop, mit dessen Hilfe der Psychiater wiederholt vergeblich versucht, seine in Amerika weilende Frau zu erreichen und einen Privatdetektiv durch Berlin und das angrenzende Umland dirigiert, um die detaillierten Angaben seiner Patientin zu überprüfen.

Die große Resonanz bereits beim Kartenvorverkauf spricht für eine erneute Einladung des Berliner Kriminal Theaters in der nächsten Saison. Auch die Schauspieler brachten im an die Vorstellung anschließenden Smalltalk zum Ausdruck, dass sie sich sehr gut bei ihrem Gastspiel in Holzminden aufgehoben gefühlt haben und gerne wieder kommen würden.