ROMANTISCHE VARIATIONEN

Faszinierende Darbietungen mit hohen Ansprüchen

Klarinettistin Sharon Kam begeistert Musikfreunde nicht nur aus der Region

Von Hans-Jürgen Höna

Sharon Kam und Gregor Bühl.

Für sein letztes Konzert des Jahres 2023 gelang es den Verantwortlichen des Kulturvereins Holzminden eine exzellente Solistin, für das Programm zu gewinnen. Sharon Kam muss als eines der großen Ausnahmetalente auf der Klarinette bezeichnet werden. Sie bildete mit Carl Maria von Webers Klarinettenquintett in B-Dur Opus 34 und dem Thema und den Variationen für Klarinette und Orchester B-Dur von Jean Franςaix das Zentrum des Konzertprogramms am vergangenen Donnerstag, flankiert vom Württembergischen Kammerorchester Heilbronn mit der einleitenden G-Dur-Suite „Aus Holbergs Zeit“ von Edvard Grieg und der abschließenden Serenade für Streicher C-Dur Opus 48 von Peter Tschaikowsky.

Rund 500 Musikfreunde, nicht nur aus der Region, waren gekommen, um Sharon Kam in der Stadthalle zu erleben. Die Erwartungen des Publikums waren hoch, und der Solistin gelang es, sie zu überbieten. Unter der Leitung von Gregor Bühl breitete das Württembergische Kammerorchester Heilbronn beim Klarinettenquintett Webers einen engmaschigen Klangteppich aus, auf dem Sharon Kam wie auf einem roten Teppich auftreten und ihre künstlerischen Fähigkeiten präsentieren konnte. Und die waren beachtlich! Ihre Läufe und Kadenzen auf diesem Instrument erfolgen in atemberaubender Geschwindigkeit, ihre Atem- und Anblastechnik erzeugt höchste Tonqualität, dramatische und emotionale Passagen weiß sie mit beeindruckender Intensität zu gestalten. Hinzu kamen ihre Körpersprache und ihre positive Ausstrahlung, mit denen sie vom Podium herunter eine einzigartige Atmosphäre schuf. Weber war an diesem Abend neu entdeckt! Das musste man als Zuhörer erstmal auf sich wirken lassen.

Nach der Pause gab es einen weiteren Komponisten zu entdecken. Diesmal war es ein Franzose, Jean Franςaix, ein Komponist des 20. Jahrhunderts (1912-1997). Seine Musik ist vielseitig, abwechslungsreich, überrascht mitunter mit unerwarteten Wendungen und stellt hohe Ansprüche an die Ausführenden. Sein Tema con Variazioni für Klarinette und Streicher, wie Webers Quintett ebenfalls in B-Dur, faszinierte das Publikum. Auch dieses Werk veranlasste das aufgeschlossene Publikum zu Jubelstürmen und Standing Ovations. Die zweite musikalische Neuentdeckung des Abends war perfekt. Sharon Kam hatte nicht nur musiziert sie war geradezu mit der Musik verschmolzen – und hatte damit treffsicher überzeugt.

Das Württembergische Kammerorchester Heilbronn.

Zwei faszinierende Darbietungen mit hohen Ansprüchen beherrschten somit den Abend, kongenial begleitet vom Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter der Leitung von Gregor Bühl, dem Ehepartner der Solistin. Gregor Bühl war in doppelter Hinsicht überragend. Bei seiner enormen Größe wurde auf das Dirigentenpodest vor dem Notenpult verzichtet, er war aufgrund seiner Statur auch so für jedermann unübersehbar. Außergewöhnlich war zudem auch die Interpretation der Streicherwerke zum Auftakt und Abschluss des Programms. In der einleitenden Suite „Aus Holbergs Zeit“, die Edvard Grieg 1884 zur Feier des 200. Geburtstags Ludvig Holbeins komponiert hat, lässt Grieg die Musik aus der Zeit des norwegisch-dänischen Dichters (1684-1754), der insbesondere durch naturwissenschaftliche Werke und Komödien die Literatur seiner Zeit in Skandinavien geprägt hat, in romantischer Streicherbesetzung wiederaufleben. Auch Peter Tschaikowsky streift in der Serenade Streicher C-Dur Opus 48, die zum Ausklang des Abends erklang, die Musik einer vergangenen Epoche, wenn er sich im ersten Satz „Pezzo in Forma di Sonatina“ (Stück in Form einer Sonatine) auf Mozart bezieht. Der darauffolgende Walzer gehört zu den bekanntesten Musikstücken Tschaikowskys und zu den Repertoirestücken nahezu jedes Tanztheaters. Was das Dirigat von Gregor Bühl hervorhob, war die große Klarheit. Die Instrumente waren prägnant so aufeinander abgestimmt, dass jedes von ihnen in aller Deutlichkeit vernehmbar war. Es gab keine Priorität einer Stimme gegenüber einer anderen. Diese Gleichberechtigung verlangte von allen Musikern eine äußerst präzise Ausführung und die ständige volle Präsenz während des gesamten Konzertes.

Nach dem eigentlichen Konzertschluss erschien noch einmal Sharon Kam mit ihrer Klarinette. Mit einer Bearbeitung für Klarinette des ersten Satzes „Prayer“ (Gebet) aus der ursprünglich für Cello und Klavier geschriebenen Suite „From Jewish Life“ von Ernest Bloch als Zugabe, mit dem sie ihrer Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten Ausdruck verlieh und bei nicht wenigen Konzertbesuchern Ergriffenheit auslöste, verabschiedete sich die Deutsch-Israelin, von ihrem Publikum, das sie in heller Begeisterung bei Standing Ovations mit tosendem Applaus überschüttete. Der gelungene Glückgriff, diese herausragende Künstlerin für ein Konzert in Holzminden engagiert zu haben, muss deshalb besonders hochgeschätzt werden, weil es in diesem Jahr einer ihrer letzten Auftritte in Deutschland und Europa war.